MITTELSTAND / WIRTSCHAFTSSTANDORT

Wirtschaftsstandort Ostdeutschland: trotz Risiken die Chancen im Blick behalten

Nachdem die vorangegangenen zwei Jahre vor allem durch die Bekämpfung der Pandemie und deren Folgen geprägt waren, stand 2022 primär im Zeichen der Auswirkungen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine sowie der hohen Inflation. Wie wirken sich diese Rahmenbedingungen und Faktoren auf den Wirtschaftsstandort Ostdeutschland aus? Und was ist jetzt notwendig, um die Wirtschaft wirksam zu unterstützen?

Rund um diese Fragestellungen hat der Ostdeutsche Bankenverband erneut eine Umfrage unter Expert/innen aus Unternehmen, Verbänden und Kammern sowie Politik durchgeführt. Es ist der vierte TrendOst in Folge. Geantwortet haben diesmal 254 Personen, die zu 97% aus den Regionen Ostdeutschlands kamen.

WIRTSCHAFTSSTANDORT UNTER STRESS

„Vollbefriedigend“ — so die Note in den vorherigen Befragungen für den Wirtschaftsstandort Ost. Angesichts der Herausforderungen, mit denen sich die Unternehmen seither konfrontiert sehen, ist fraglich, ob es hier eine Aufwärtsbewegung geben kann. Erfreulich daher, wenn nicht ganz die Hälfte der Umfrageteilnehmenden eine Verbesserung in den letzten fünf Jahren konstatieren (s. Grafik 1). Die Langfristperspektive stimmt also.

Energiekrise beeinträchtigt Unternehmensperspektiven und zeitigt massive Auswirkungen 

Die insgesamt positive Entwicklung auf längere Sicht, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass für die meisten Unternehmen derzeit schwere Zeiten herrschen. Vor allem die Energiekrise brachte in den letzten Monaten Sorgen in den unternehmerischen Alltag — auch wenn staatliche Hilfen und die Aussicht auf Preisbremsen diese inzwischen etwas lindern konnten. Nach den konkreten Auswirkungen der Ausnahmesituation auf die Wirtschaft befragt (s. Grafik 2), sehen fast alle Teilnehmenden Kostensteigerungen (93%). In Folge erhöhen sich auch Verkaufspreise (75%) — eine derzeit alltägliche Erfahrung für Unternehmen und Bürger/innen. Problematisch für die Modernisierung einer Volkswirtschaft können zurückgestellte Investitionen (61%) werden, wenngleich die Energiekrise als „Gamechanger“ für Transformationsanstrengungen (60%) fungieren könnte. Ausfälle in den Lieferketten (58%) gehen mit einer Neuausrichtung der Lieferbeziehungen einher (50%). Auch sieht über die Hälfte eine existenzielle Gefährdung von Unternehmen.

TRANSFORMATION ALS IMMER STÄRKERE NOTWENDIGKEIT

Die Transformation hin zu einer klimaneutraleren Wirtschaft, die die Lebensgrundlagen erhält, ist seit geraumer Zeit hierzulande weitgehend Konsens. Viele Unternehmen beschäftigen sich ganz konkret mit der Umsetzung. Nach Einschätzung der Antwortenden (s. Grafik 3) sind dabei vor allem die Anforderungen der Kund/innen und der Gesellschaft die stärksten Treiber (sehr relevant und relevant zusammengenommen: 74% bzw. 73%). Zunehmend fragen auch Finanzierungspartner bei den Unternehmen nach den Anstrengungen (65%). Diese Rolle wird inzwischen stärker wahrgenommen, in der Befragung 2020 sahen nicht ganz die Hälfte die Finanziers als relevante Impulsgeber. Zudem ist das Motiv des Risikomanagements bedeutsam (61%) — diese Notwendigkeit wurde nicht zuletzt durch die Sommerdürren und das Ahrtalhochwasser unterstrichen. Werte und Überzeugungen der Unternehmen selbst benennen 58% als relevanten Faktor, ein vergleichbarer Wert wie 2020. Und auch für die Personalgewinnung werden Nachhaltigkeitsthemen wichtiger — Ausdruck der steigenden Sensibilität für das Thema insbesondere in den jüngeren Generationen.

Transformation als Zukunftsfaktor für die (ost)deutsche Wirtschaft, welcher der Unterstützung wert ist

Sich mit Transformation zu beschäftigen, ist also eine zunehmende Notwendigkeit für die Unternehmen —   auch, um zukunftsfähig zu werden bzw. zu bleiben. Den Überlegungen müssen Taten folgen, wobei ein aktives Umsteuern in der Wirtschaft begonnen hat. Zudem ist — gerade nach den Belastungen der Pandemie für die Eigenkapitalsituation vieler Unternehmen — eine Flankierung der Maßnahmen durch die Politik/Förderung wichtig. Hier zeigt sich, dass aus Sicht der Antwortenden (s. Grafik 4) mit einer Entbürokratisierung viel gewonnen wäre (Position 1/2: sehr relevant und relevant zusammen 84% bzw. 83%). Wichtig erscheint auch die Stärkung des Risikokapitalmarkts (79%) bzw. eine Risikoteilung zwischen Finanziers und Staat (77%). Und ebenfalls interessant: Eine fokussierte Förderung von Transformationsthemen und Schlüsseltechnologien hält eine größere Gruppe sogar für sehr relevant (29%).

EXPORT: VERÄNDERTE MARKTBEZIEHUNGEN

Die aktuellen konjunkturellen und strukturellen Herausforderungen schlagen sich auch in den internationalen Geschäftsbeziehungen nieder. Das zeigt sich vor allem durch Veränderungen in den Beziehungen zu den einzelnen Märkten. Die Bewertung für Ostdeutschlands Auslandsgeschäft verharrt dabei bei einer Note von ca. 3 (s. Grafik 5). Eine Verbesserung ist also nicht zu erkennen, aber dafür auch keine große Verschlechterung.

Eurozone bleibt wichtigster Absatzmarkt – Bedeutungsverlust für China

China verliert an Bedeutung: War 2020 noch für 52% der Befragten das Land auch zukünftig ein wichtiger Handelspartner, fiel dieser Wert nun auf 29%. Ebenfalls machen sich die Sanktionen gegenüber Russland deutlich bemerkbar: Für nur noch 13% ist das Land weiterhin von Bedeutung (2020 noch 51%). Für die USA und Kanada gibt es hingegen eine Trendwende, ihre Rolle wird jetzt merklich höher bewertet (von 23 auf 37%). Die Bedeutung der ASEAN-Länder, Afrikas und Indiens bleibt auf niedrigem Niveau. Deutlich abgesackt sind dagegen die Visegrád-Staaten (von über 50% auf knapp über ein Viertel). Insgesamt bleibt aber der Euroraum Handelspartner Nr. 1 (s. Grafik 6).

Märkte besser nutzen und bedarfsgerechte Außenwirtschaftsförderung schaffen

Die enormen Belastungen für die Volkswirtschaft zeigt sich einmal mehr in den Wertschöpfungsketten. Deren Anfälligkeit liegt auch drei Jahre nach dem Beginn der Pandemie schonungslos offen — trotz bereits erfolgter Anpassungen (s. Grafik 7). So haben rund 55% der Befragten gleichermaßen die Diversifizierung von Absatz- und Beschaffungsmärkten sowie eine steigende regionale Vernetzung beobachtet. Eine größere Unabhängigkeit von Chinas Null-Covid-Politik dürfte hierfür maßgeblich gewesen sein. Im Zusammenhang mit Nearshoring und Diversifizierung werden dabei immer wieder Chancen für Afrika, ASEAN und Visegrád gesehen – hierzu liefert die Umfrage (s. Grafik 6) jedoch keine konkreten Anhaltspunkte; die Befragten schätzten deren Bedeutung als Zukunftsmärkte nicht besonders hoch ein. Schienen 2020 außerdem noch Rückverlagerungen von Kernkompetenzen an die deutschen Firmenstandorte möglich – verbunden mit einer Chance für die ostdeutschen Regionen –, scheint sich dies nicht zu realisieren. Dafür dürften vor allem die hohen Energiepreise hierzulande, eine unzureichend wahrgenommene politische Antwort darauf und sicher auch der Fachkräftemangel ausschlaggebend sein. Trotz der weltweit schwierigen wirtschaftspolitischen Lage bleibt die internationale Arbeitsteilung demnach essenziell. Das zeigt sich auch darin, dass geplante Auslandsinitiativen im geringeren Maße ausgesetzt wurden als 2020 noch angenommen (damalige Erwartung: 53%, heutige Beobachtung: 36%). Daher braucht der Mittelstand jetzt eine bedarfsgerechte Außenwirtschaftsförderung, um etwa bei der Erschließung neuer Absatzmärkte zu unterstützen.

Fazit des TrendOst

  • Im langfristigen Trend entwickelt sich der Wirtschaftsstandort Ostdeutschland positiv. Durch sich überlagernde Krisen bleiben die Unternehmen erheblich gefordert. Politik muss dies im Blick behalten sowie ggfs. rechtzeitig und abgestimmt unterstützend eingreifen, ohne alle Marktkräfte aushebeln zu können/dürfen.
  • Die Energiekrise zeigt massive Auswirkungen, kann aber auch als Gamechanger für das Transformationsgeschehen fungieren, da die Energiepreise dauerhaft erhöht bleiben dürften.
  • Transformation ist ein Zukunftsthema — kundengetriebene und gesellschaftliche Anforderungen (neben den Preissignalen) sind wichtige Auslöser für Unternehmensaktivitäten. Diese sollten gezielt durch den politischen Rahmen und Förderung unterstützt werden, hierzu sind primär Entbürokratisierung und Risikoteilung nötig.
  • Anpassungen in den Wertschöpfungsketten haben stattgefunden und die Beziehungen zu den einzelnen Auslandsmärkten haben sich verschoben. Eine bedarfsgerechte Außenwirtschaftsförderung — bspw. durch eine Vereinfachung von Deckungsinstrumenten — ist geboten, um den Unternehmen im schwierigen Fahrwasser des internationalen Handels die Hand zu reichen.

Veröffentlichung: 21. Dezember 2022

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