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Vor dem Start der Ampel-Koalition: Hard und Soft Skills fürs Regieren

In unserer Reihe KLARTEXT lesen Sie persönliche Meinungen und Denkanstöße.

Heute von:
Achim Oelgarth
Geschäftsführender Vorstand, Ostdeutscher Bankenverband e.V.

In der Nikolauswoche wollen SPD, Grüne und FDP ihren Koalitionsvertrag unterzeichnen. Anschließend, voraussichtlich am 8. Dezember, soll Olaf Scholz zum neunten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt werden. Seit der Bundestagswahl werden dann gut 70 Tage vergangen sein. Die „Ampel“ hat also ordentlich Tempo gemacht.

Ebenfalls mit hoher Geschwindigkeit hat sich jedoch auch das Umfeld verändert, in dem das Dreierbündnis mit dem Regieren anfangen muss. Der Koalitionsvertrag ist gerade einmal sechs Tage alt und schon dominieren bereits wieder andere Themen die tagespolitische Agenda.

In unserer Welt lässt sich der Eindruck nicht von der Hand weisen, dass der Beschleunigungsknopf dauernd gedrückt gehalten wird. Die von den Koalitionspartnern verabredeten Inhalte und Projekte künftiger Regierungsarbeit werden also sofort und unausweichlich mit den überall neu oder wieder aufziehenden Problemlagen konkurrieren. Eine Bewertung des Koalitionsvertrages muss daher gleichzeitig aus zwei Perspektiven geschehen: Zum einen geht es um die Inhalte, zum anderen darum, von welchem Teamgeist die „Ampel“ getragen wird. Welches Selbstverständnis lässt sich aus und zwischen den über 6000 Zeilen herauslesen. Denn es wird genau dieser Führungsspirit sein, mit dem die Akteure auch an all jene Herausforderungen und Krisen herangehen, die man nicht (oder nicht im tatsächlichen Ausmaß) vorausgesehen hat, sondern die ganz „frisch“ bzw. in Echtgröße ins Bundeskanzleramt und die Fachministerien „geliefert“ werden.

Zunächst ein gerade für uns als Stimme der privaten Banken in Ostdeutschland erfreuliches Detail: Bereits auf Seite zwei findet sich ein klares Bekenntnis zur Vollendung der deutschen Einheit, und das noch vor der Umsetzung der Beschlüsse der Pariser Klimakonferenz. Doch natürlich bleiben viele  Punkte vage. Das wird kritisiert. Für mich belegt es, man ist bemüht, dem Partner erst einmal Raum für seine Standpunkte zu gewähren. Dieses Leben-und-Leben-Lassen findet man sogar in der Königsdisziplin Haushaltspolitik. Investitionswünsche der Grünen finden sich hier neben der Einhaltung der Schuldenbremse, wie die FDP sie stets fordert.

Schauen wir nun auf die selbst gestellte To-Do-Liste der „Ampel“. Aus Sicht der Kreditwirtschaft sind die 25 Punkte, die Finanz- und Bankenthemen adressieren, sinnvoll und mit Augenmaß formuliert. Hier finden sich u.a. die Reformen der BaFin sowie von MiFID/MiFIR, die Kapitalmarkt- und Bankenunion inklusive Weiterentwicklung der Einlagensicherung, Schattenbanken und Geldwäsche, Sustainable Finance und Green Bonds, Start-Ups und Börsengänge sowie die KfW als Innovations- und Innovationsagentur. Alles in allem eine gute Grundlage, um gemeinsam mit den Kreditinstituten und ihren Interessenvertretern Regelungen zu schaffen, die dem Ampel-Anspruch „Mehr Fortschritt wagen“ gerecht werden.

Ein klarer Blick der drei designierten Regierungsparteien auf Notwendigkeiten lässt sich gleichfalls bei Themen konstatieren, die gerade der mittelständischen Wirtschaft zugutekommen sollen. Vornweg das Auslaufen der EEG-Umlage-Finanzierung über den Strompreis. Gleichzeitig sind Punkte zu finden, die eher nicht vom medialen Scheinwerferlicht erfasst werden, aber echte Entlastungen darstellen. Zu nennen sind hier der spürbare Abbau der Steuerbürokratie durch Erhöhung von Schwellenwerten, die Erweiterte Verlustverrechnung oder die Evaluierung von Regelungen bei der Besteuerung von Personengesellschaften, die die Eigenkapitalbasis stärken.

Inhaltlich lässt sich als Fazit formulieren, dass die Ampel wirtschaftspolitisch vieles besser machen will. Natürlich bleiben Unklarheiten, nicht zuletzt bei Finanzierungsfragen, bspw. für die Stabilisierung des Rentenniveaus. Eine klare Absage an Steuererhöhungen – wie im Sonderungspapier – findet sich nicht mehr. Hingegen der Verweis auf faire Besteuerung – ein in die eine wie die andere Richtung dehnbares Statement. Jeden Unternehmer freuen wird es allerdings, wenn er von der Einführung eines haushaltspolitischen Controllings liest, welches Ausgabe-Wirkung-Beziehungen messen soll.

Seit ihrer Veröffentlichung wurden all die Themen und Vorhaben der „Ampel“ im öffentlichen Diskurs aber nicht wirklich analysiert und abgeklopft. Der Grund hierfür ist die eingangs erwähnte Dynamik an Problemlagen, welche den Koalitionsvertrag auf der Aufmerksamkeitsskala gleich wieder nach hinten haben rutschen lassen. Corona, der Russland-Ukraine-Konflikt, die Lage an der polnisch-weißrussischen Grenze, die weiterhin angespannte Lieferketten-Situation mit daraus resultierendem Inflationsauftrieb sind Elemente dieses Komplexes. Da wie für jede Regierung auch für die der „Ampel“ gelten wird, was der Volksmund ausdrückt mit „unverhofft kommt oft“, stellt sich die Frage nach dem „Geist der Vereinbarung“, der sich aus den 177 Vertrags-Seiten deuten lässt.

Und gerade wegen dieser kurzfristigen Volatilitäten macht die Päambel Hoffnung. Denn da liest man von der Wahrnehmung einer geänderten gesellschaftlichen Wirklichkeit: komplexer, vielfältiger, ein Mehr an Perspektiven und Standpunkten. In dieser neuen bundesrepublikanischen Realität könne eine Koalition aus drei recht unterschiedlichen Partnern ein Zeichen dafür setzen, wie Zusammenhalt und Fortschritt auch bei gegensätzlichen Meinungen gelingen können. Nämlich dann, wenn man gemeinsam Probleme löse. Ein ermutigender Satz. Ob die „Ampel“ ihn wirklich lebt, wird sich zeigen – soviel ist sicher.

Veröffentlichung: 2. Dezember 2021

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