#KLARTEXT

Zukunftszug Deutschland: Bitte endlich einsteigen!

In unserer Reihe KLARTEXT lesen Sie persönliche Meinungen und Denkanstöße.

Heute von:

Dr. Alexander Schumann
Leiter Politik und Konjunktur, Sonderprojekte
Ostdeutscher Bankenverband e.V.

ICE 693. Berlin – Leipzig. Im Bordrestaurant sind meine Tischnachbarn ins Gespräch vertieft. Ich krame in meinem Gesichtsgedächtnis und – richtig: Es sind zwei hochrangige Politikberater aus dem akademischen Bereich, die des öfteren zu Themen wie Ökonomie und Klima in den Medien auftauchen. Ich klinke mich ein, wir reden über Energiepolitik und vor allem über Wasserstoffwirtschaft und meine Gegenüber wollen wissen, wo die Unternehmer/innen da stehen. In den Startlöchern, sage ich. Und da werden sie wohl auch bleiben, wenn die Politik nicht voran geht. Voran gehen sei gut, so die Ökonomin, aber bitte in die richtige Richtung. Die wäre? Einen globalen Markt schaffen…

Der Markt hat heutzutage nicht allzu viele Fürsprecher. Wie schade das ist, hat unlängst der neue argentinische Präsident Javier Milei auf dem WWF in Davos deutlich gemacht. Bei seiner Rede vor den Staats- und Wirtschaftslenker/innen präsentierte er interessante Zahlen: Mit dem Siegeszug des Marktes ab dem Jahr 1800 startete ein wahrer globaler Wohlstandsturbo. Während bis zum Einsetzen von Industrieller Revolution und Kapitalismus – die für nichts anderes stehen als für Innovation und ein marktliches Such- und Entdeckungsverfahren – das weltweite Pro-Kopf-BIP nahezu stagnierte, stieg es von da an stetig und exponentiell. So betrug die jährliche Wachstumsrate des globalen Pro-Kopf-Einkommens zwischen 1800 und 1900 zunächst 0,66%, zwischen 1900 und 1950 stieg sie auf 1,66%, um schließlich im Zeitraum bis 2000 auf 2,1% zu klettern. Dies alles parallel zum gleichzeitigen, rasanten Wachstum der Weltbevölkerung. Besser noch: Innerhalb der betrachteten 200 Jahre fiel der Anteil von Menschen in extremer Armut von 95% auf nur noch 5%.

DDR-Erfahrene erinnern sich an den Planwirtschaftsslogan: „Wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben.“ Für die aktuellen westlichen Gesellschaften, also auch Deutschland, mit stagnierender oder schrumpfender Erwerbsbevölkerung, muss der Spruch lauten: „Wie wir heute investieren, werden wir in Zukunft leben.“ Blicken wir hierfür auf die Zahlen, dürfte für die kommenden Jahrzehnte eher Bescheidenheit angesagt sein. Wie in den Corona-Jahren 2020 und 2021 legten auch 2023 die realen Bruttoanlageinvestitionen den Rückwärtsgang ein. Lediglich die Ausrüstungsinvestitionen schlugen positiv zu Buche. Das Plus von 3% für diese Komponente rührt allerdings von den gewerblichen Kfz-Zulassungen her, bei denen das Auslaufen der E-Auto-Prämie im vorigen Herbst einen Vorzieheffekt auslöste. Das Produktionspotenzial hat hiervon nicht profitiert.

Zuletzt in ihrem Herbstgutachten 2023 haben die Wirtschaftsweisen eindringlich darauf hingewiesen, dass für das Potenzialwachstum zu wenig getan wird. Seit über einem Jahrzehnt drehen sich Debatten zwischen Politik und Wirtschaft um die Investitionsschwäche in unserem Land. Seit über einem Jahrzehnt legt das Potenzialwachstum hierzulande eher anämisch zu, nämlich um die 0,5% jährlich.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat vor nicht allzu langer Zeit ein grünes Wirtschaftswunder mit Wachstumsraten versprochen, wie sie Deutschland zuletzt in den 1950er und 1960er Jahren erlebte. Aktuell allerdings steckt unser Land in einer Rezession, hat das Statistische Bundesamt soeben ein Minus von 0,3 Prozent amtlich gemacht. Viele meiner Volkswirte-Kolleg/innen erwarten für den Beginn 2024 eine Fortsetzung der Konjunkturflaute und selbst das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz befürchtet für die kommenden Jahre eher schleppendes Wachstum. Leider sind das Prognosen, die ich teile. Schon seit langem.

Deutschland hat sich in ein Dilemma hineinmanövriert: Klimaneutralität, Digitalisierung und nun auch Künstliche Intelligenz bedürfen einerseits enormer Investitionen und damit stabiler Rahmenbedingungen. Andererseits wird mit immer mehr staatlichen Vorgaben, unter anderem von viel zu kurzen Umsetzungszeiträume bei gleichzeitigem Ausblenden technologischer und physikalischer Gegebenheiten, diese Planungssicherheit untergraben.

Politik entwickelt ihre Strategien momentan aus einer Haltung der Überlegenheit planerischer Entscheidungen gegenüber dem Markt. Man muss es deutlich sagen: Die empirische Evidenz spricht dem vollständig entgegen. Welche Investitionen den Standort Deutschland zukunftsfest machen, das können am besten die Unternehmerinnen und Unternehmer entscheiden.

Genau dazu haben die Präsidentinnen und Präsidenten der ostdeutschen Industrie- und Handelskammern soeben ein flammendes Plädoyer an Bundeskanzler Olaf Scholz geschickt. Sie erinnern daran, was die Eckpfeiler der Standortstärke Deutschlands bisher waren – und wohin man zurückkehren muss: Wettbewerb auf Märkten, Technologieoffenheit,  Leistungsbereitschaft und ergebnisoffener Dialog zwischen Regierung und Wirtschaft. Die Politik sollte diesen Ruf ernst nehmen. Sonst ist der Zukunfts-Zug für Deutschland abgefahren.

Veröffentlichung: 31. Januar 2024

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