MITTELSTAND / WIRTSCHAFTSENTWICKLUNG

Landtagswahl Sachsen-Anhalt 2021

Am 6. Juni wird in Sachsen-Anhalt ein neuer Landtag gewählt. 1,8 Millionen Bürger/innen sind zur Stimmabgabe aufgerufen. Die Wahl stellt für die kommenden fünf Jahre die politischen Weichen für die weitere Entwicklung zwischen Wittenberge und Zeitz, zwischen Harz und Annaburger Heide.

Was den Wahltermin zusätzlich spannend macht: Der Urnengang ist in Ostdeutschland der einzige Test vor der Bundestagswahl am 26. September. Das Votum stellt somit einen Stimmungsmesser für die Parteien dar und gibt Einblick, wie sich im Osten die Gemengelage aus Corona-Management, grün-rot-roter Koalitionsdiskussion und der medialen Euphoriewelle pro Wechsel im Kanzleramt in der Wählergunst niederschlägt.

Was sagen die Umfragen?

Umfragen sehen CDU knapp vorn

Die Umfragen führt weiterhin die CDU an. Sie könnte aktuell mit 28 Prozent der Wählerstimmen rechnen (zum Vergleich das Ergebnis 2016: 29,8 Prozent). Auf Platz zwei liegt die AfD mit 24 Prozent (2016: 24 Prozent). SPD und Grüne, die zusammen mit der CDU in der zu Ende gehenden Legislaturperiode in der Kenia-Koalition regieren, kämen auf 11 bzw. 9 Prozent.

Während die Sozialdemokraten ihr Ergebnis aus 2016 damit halten könnten, würde sich der Wert für die Grünen fast verdoppeln, von ehedem knapp über 5 Prozent (s. Grafik). Aus diesem Stimmungsbild lässt sich ableiten, dass die Regierungsarbeit lediglich den beiden Juniorpartnern der Union genutzt hat. Die SPD kann gegen den Bundestrend eine stabile Wählerzustimmung konstatieren – wenn auch Welten entfernt von früheren Zustimmungsraten. Letztlich täuscht die Stabilität darüber hinweg, dass die SPD auch in Sachsen-Anhalt den Status einer Volkspartei verloren hat.

Grüne punkten mit Kernkompetenz

Die Grünen punkten durch regional gute Arbeit und werden zusätzlich beflügelt durch eine bundesweite Zustimmungswelle. Im Auf und Ab der Koalitionsentwicklung haben sich Bündnis 90/Die Grünen als solider und skandalfreier Partner erwiesen und konnten in dem (einzigen) von ihnen besetzten Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft und Energie mit ihren Kernkompetenzen aufwarten.

Anders die seit 2002 ununterbrochen regierende CDU: Sie setzt den bereits in den vergangenen Wahlperioden zu verzeichnenden Abwärtstrend fort und läuft Gefahr, ihr 2016 erzieltes zweitschlechtestes Ergebnis zu unterschreiten. Einen Beitrag dazu mag sicher die Performance der Bundes-CDU leisten, doch auch vor Ort lief es nicht rund: zwei Rücktritte, von Finanzminister André Schröder sowie Innenminister Holger Stahlknecht, trübten das Bild in der aktuellen Legislaturperiode. Nichtsdestoweniger messen die Mehrzahl der Wähler/innen – wohl gestützt auf den Amtsbonus von Ministerpräsident Reiner Haseloff – im höchsten Maß weiterhin der CDU die Fähigkeit zur Fortsetzung der Regierungsführung bei.

Herausforderungen für das Land

Hinsichtlich der Themen, bei welchen den Sachsen-Anhaltern der Schuh drückt und bei denen sie politisches Handeln für notwendig erachten, liegt wenig überraschend Corona an der Spitze, mit 39 Prozent. Die Wirtschaft sowie Bildung/Schule/Ausbildung folgen mit jeweils 19 Prozent dahinter. Der Arbeitsmarkt liegt mit 14 Prozent auf Platz 3.

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Trotz positiver Entwicklungen schlägt sich Sachsen-Anhalt noch immer mit einem Wahrnehmungs-Manko herum. Im Vergleich zu anderen Bundesländern in Mitteldeutschland schätzen beispielsweise junge Menschen Sachsen-Anhalt als besonders unattraktiv im Hinblick auf eigene Berufsperspektiven ein. Gleiches gilt für die Zufriedenheit mit dem Umweltschutz oder der medizinischen Versorgung sowie für die Lebensqualität im ländlichen Raum.

Wirtschaft

Was die harten Fakten der wirtschaftlichen Entwicklung des an Fläche gemessen drittgrößten Bundeslandes im Osten anbetrifft, so waren die letzten fünf Jahre eher durchwachsen. Das Bruttoinlandsprodukt konnte zwar nominal leicht zulegen, preisbereinigt allerdings fiel die jährliche Wachstumsrate schwach aus. Sie lag von 2016 bis 2019 zwischen 1,5 und 0,6 Prozent und sank 2020 auf -3,9 Prozent. Das reale Pro-Kopf-Einkommen stagnierte. Die Arbeitslosenquote sank hingegen von 9,6 Prozent 2016 auf 7,7 Prozent 2020 – und das im Angesicht von Corona.

Demografie

Der demografische Wandel dürfte hier eine Rolle gespielt haben. Sachsen-Anhalt gilt als Demografie-Hotspot. Mit Stand 2019 ist die Bevölkerung seit 1990 um fast 24 Prozent zurückgegangen und beträgt heute knapp 2,2 Millionen. Doch auch wenn sich der starke Schwund der vergangenen Jahre aktuell nicht fortsetzt, errechnet die derzeitige Bevölkerungsprognose für das Jahr 2030 einen Stand von dann unter 2 Millionen Bürgerinnen und Bürgern.

Digitalisierung und Ansiedlung

Die demografische Entwicklung schlägt sich vor allem im ländlichen Raum nieder. Für die Sicherung von guten Lebens- und Arbeitsbedingungen ist daher nicht zuletzt die Digitalisierung ein enorm wichtiger Grundpfeiler. Die Politik hat an dieser Stelle geliefert: Sachsen-Anhalt weist die größte Zuwachsrate aller Flächenländer im Breitbandausbau auf. Jüngst wurde ein Glasfaserpakt zwischen Wirtschaftsministerium und Telekommunikationsunternehmen verabschiedet. Neben diesem wichtigen Signal gab es auch bei den Groß-Ansiedlungen Positives zu vermelden, etwa eine Batteriefabrik chinesischer Investoren, eine Bioraffinerie am Chemiestandort Leuna (durch ein finnisches Unternehmen) sowie das Drohnentestzentrum im Salzlandkreis.

Wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen

Zusammengenommen wundert es nicht, dass vor Corona die Unternehmen die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen gemeinsam mit Energie-/Rohstoffpreisen unter den Top-Risiken für die Geschäftsentwicklung verorteten (s. Grafik), nach Fachkräftemangel (Platz 1) sowie Arbeitskosten (Platz 2). Der Mittelstand findet sich oft an hinterer Stelle in den Wertschöpfungsketten. Eine Folge: Die Orientierung auf internationale Märkte ist schwächer als in anderen Regionen in Ostdeutschland.

Die Landesregierung hat aber seit 2019 ein ganz anderes Megathema auf der Agenda: den Kohleausstieg. Allein in Mitteldeutschland sinken hierdurch die Arbeitnehmerentgelte um 590 Millionen Euro. Die Schaffung neuer, zukunftssicherer (Industrie)Arbeitsplätze ist daher ein Kriterium, an dem sich die Parteien messen lassen müssen.

Die Wahlprogramme - zusammengefasst mit Blick auf die Wirtschaftspolitik

CDU

Im Politik-Katalog der Union findet sich ein breites Spektrum an Vorschlägen und Projekten, die zusammengenommen unter Beweis stellen, wie stark die Partei auf ihre Wirtschaftskompetenz setzt. Hervorzuheben sind die detaillierten Ansätze für eine Stärkung des Mittelstandes – gerade nach Corona. Die Kontinuität von Liquiditäts- und Eigenkapitalhilfen zählt hierzu, wie steuerliche Maßnahmen (z.B. Verlustverrechnung). Hinzu kommen Bürokratieabbau und eine Forcierung der Ansiedlungsdynamik, gerade im Hinblick auf die Kompensation von Industriearbeitsplätzen, die dem Kohleausstieg zum Opfer fallen werden. Steuererhöhungen werden ausgeschlossen, dafür aber eine Reform der Gewerbesteuer vorgeschlagen. In der Haushaltspolitik plädiert die Union für Schuldenabbau sowie Rücklagenaufbau.

AfD

Die AfD will sich vor allem für den kleineren Mittelstand stark machen. Mit einer Meisterprämie will man dem Trend zur Akademisierung bei der Berufswahl entgegenwirken. Die Prämie liegt zwischen 1.000 und 5.000 Euro; je eher die Meisterprüfung erfolgreich abgelegt wurde, desto mehr Geld gibt es. Unternehmensgründungen sollen rasch für Beschäftigungsaufbau sorgen und die Attraktivität des ländlichen Raumes erhöhen. Die Partei lobt auch an dieser Stelle eine Prämie für jeden neuen Arbeitsplatz aus, wenn er drei Jahre nach Schaffung noch existiert. In der Haushaltspolitik soll Sparsamkeit dominieren, gerade für die Verwaltung und das Parlament. Kohleausstieg und die Sanktionen gegen Russland sollen fallen.

Die Linke

Die Linke legt den wirtschaftspolitischen Schwerpunkt ebenfalls auf kleinere und mittlere Betriebe, nicht zuletzt des Handwerks. Man plädiert für eine gewisse Re-Regionalisierung von Wirtschaftskreisläufen und Wertschöpfungsketten. Für den Arbeitsmarkt hat die Linke zahlreiche Forderungen parat, die jedoch überwiegend in die Regelungskompetenz des Bundes fallen (Erhöhung des Mindestlohns auf 13 Euro). Eher Sprengkraft für die Wirtschaft dürfte die sozialpolitische Idee einer sanktionsfreien Mindestsicherung (Bedingungsloses Grundeinkommen) bergen. In der Haushaltspolitik präsentiert die Linke die Idee eines „Sachsen-Anhalt-Fonds“. Er soll mehr Investitionen in Schulen, Kitas sowie Infrastruktur ermöglichen.

Bündnis 90 / Die Grünen

Wirtschaftsförderpolitik soll laut Programm der Grünen ökologisch und auf kleine und mittlere Unternehmen sowie das Handwerk, auf Startups und auf Gründerinnen ausgerichtet werden. Branchen, die man in den Fokus von Ansiedlungen und Gründungen stellen will, sind die Wasserstoff-Wirtschaft, Zulieferer der Elektromobilität, Bio- und Medizintechnik, Kunststoff, Informations- und Kommunikationstechnologie. In den von Kohleausstieg betroffenen Landesteilen will man mit 5G-Ausbau und Grünem Wasserstoff für Ausgleich sorgen. Die Folgekosten des Braunkohleausstiegs sollen zu Lasten der Betreiber gehen. Die Einrichtung eines Digitalisierungsministeriums, die Innenstadtbelebung sowie ein Pilotprojekt für das Bedingungslose Grundeinkommen sind weitere Facetten des Programms.

SPD

Die SPD stellt im aktuellen Kabinett den Wirtschaftsminister, dessen Arbeit auch über die Landes- und Parteigrenzen hinweg Anerkennung findet. Viele der Vorschläge verfolgen dem Kern nach eine Niveauanhebung. Hierzu zählen die Förderung der Bestandsunternehmen für Größenwachstum und die Leitlinie, Sachsen-Anhalt vom Ansatz der „Verlängerten Werkbank“ wegzubekommen. Forschungsförderung soll stärker direkt an die Unternehmen fließen und man will in den Bereichen Klimaneutralität und CO2-Reduktion mit einer Forschungsstarthilfe arbeiten. Ein großer Akzent wird beim Arbeitsmarkt gesetzt, Stichwort „Gute Arbeit“. Kleineren und mittleren Betrieben soll mit Investitionsdarlehen stärker unter die Arme gegriffen werden. Industrieansiedlungen und -förderungen sollen mit Klimaneutralität gekoppelt werden. In der Haushaltspolitik will die SPD Investitionen stärker betonen und sie plant ein Digitalisierungsministerium.

FDP

Mit einem forcierten Ausbau der digitalen Infrastruktur wollen die Freien Demokraten Sachsen-Anhalt attraktiver für Unternehmensgründungen machen. Gleiches gilt für den Bürokratieabbau. Weniger Vorschriften, mehr Freiräume lässt sich als Schlagwort formulieren. Die Vergaben der öffentlichen Hand will man mittelstandsfreundlicher gestalten und mit Anwerbung von Fachkräften im Ausland dem Fachkräftemangel begegnen. Für die FDP birgt der Tourismus großes Potential, weshalb hier mit Förderung flankiert werden soll. Gründungen will man mit einer Sonderbefreiung von Dokumentationspflichten und mit einer zentralen Anlaufstelle für verwaltungsrechtliche Fragenerleichtern. Stärkung und Vereinfachung von Ausgründungen aus Hochschulen reihen sich ein. Beim Strukturwandel in den Braunkohleregionen kann sich die FDP „Chancenregionen“ vorstellen: Wirtschaftsräume mit Erleichterungen wie bspw. niedrigere Gewerbesteuersätze.

Der Blick der privaten Banken

Für die nach dem 6. Juni zu bildende neue Regierung in Magdeburg gibt es aus Sicht der Wirtschaft genügend zu tun. Wahlprogramme sind das eine, der Koalitionsvertrag ist das andere. Aus Sicht der privaten Banken müssen folgende Punkte auf die Agenda der kommenden Legislaturperiode genommen werden:

  • Stärkung des bilanziellen Eigenkapitals in der Post-Corona-Phase: Für die Sicherung der Investitionsfähigkeit, nicht zuletzt im Hinblick auf digitale Transformation und Nachhaltigkeit, ist eine Stärkung des bilanziellen Eigenkapitals der Unternehmen notwendig. Auch Liquiditätshilfen sollten in einer Übergangsphase fortgesetzt werden. Politik und Wirtschaft samt Verbänden sollten in einem Gremium (Task Force EK) die Maßnahmen zielgenau gestalten.
  • Breitbandausbau: Die erreichte Dynamik muss beibehalten werden. Wichtig ist, direkt auf leistungsstarke Netze zu setzen, im Sinne von flächendeckender Zurverfügungstellung starker, schneller Glasfaseranschlüsse, um nicht der technologischen Entwicklung hinterherzulaufen.
  • Unternehmensnachfolge: In Ostdeutschland geht die komplette Unternehmer/innen-Kohorte in den Ruhestand, die ab 1990 ihre Betriebe gegründet oder ihre Familienfirmen zurück übernommen hat. Das Matching von Eigentümern/innen und Nachfolgeinteressierten sowie der Übergabe- und Anlaufprozess unter neuer Regie, die Suchaktivitäten im bundesweiten Maßstab und die Absicherung von Innovationen und Investitionen über den Übergabezeitpunkt hinaus sind nutzbringende Förderansatzpunkte. Scheiden Unternehmen aus dem Markt aus, kann Politik helfen, Arbeitsplätze und Know-how zu sichern.
  • Internationalisierung: Ein Pfund, mit dem Sachsen Anhalt wuchern kann, ist seine zentrale Lage in Europa. Eine faire und nachhaltige Exportstrategie ist neben der heimischen Nachfrage ein zweites Standbein, welches Beschäftigung und soziale Standards sichern hilft. Eine Re-Regionalisierung bis zu einem gewissen Grad ist den Erfahrungen der Pandemie nach zu begrüßen, eine De-Globalisierung aber bringt Wohlstandsverluste auf beiden Seiten der Handelspartner. Wertvoll ist ein Blick nach Mittel- und Osteuropa, wo andere Regionen Ostdeutschlands bereits gute Erfahrungen machen.
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