MITTELSTAND / WIRTSCHAFTSSTANDORT

Strukturschwache Regionen: Sind Sonderwirtschaftszonen der Weg?

Auch wenn sich Deutschland gerade im Lockdown befindet und die Gesellschaft mit den daraus resultierenden wirtschaftlichen Schäden zu kämpfen hat, ist es notwendig, einen zukunftsgerichteten Blick nach vorn zu wagen. Wie kann man den Start aus der Krise nutzen, um den fortschreitenden Strukturwandel, die Transformation der Schlüsselindustrien und den Fachkräftemangel in strukturschwachen Regionen zu begleiten?

Ein seit langem bestehender, kontrovers diskutierter Vorschlag aus der Politik mit dem sperrigen Begriff „Sonderwirtschaftszonen (SWZ)“ erlebte 2020 neuen Auftrieb. Auch wenn eine „SWZ-Ostdeutschland“ wenig zeitgemäß erscheint – zu heterogen haben sich die einzelnen Regionen entwickelt – können doch Einzelaspekte der neueren Vorschläge zur Stärkung strukturschwacher Regionen in Deutschland genutzt werden. Insofern lohnt sich ein genauerer Blick auf die Wirkungsweise und Vorschläge einer SWZ.

Was sind Sonderwirtschaftszonen und wie wirken sie?

1959 entstand im irischen Shannon die erste moderne SWZ. Mittlerweile gibt es weltweit zwischen 2.500-5.300 Stück. Im Allgemeinen definiert eine SWZ ein geographisch abgegrenztes Gebiet mit besonderen, vom Rest des Landes abweichenden, Regeln für Wirtschaftstätigkeiten (s. Grafik). Zwei Grundformen werden weithin im Diskurs unterschieden. So stehen bei der ersten Form finanzielle Anreize im Mittelpunkt, die darauf ausgelegt sind, Unternehmensansiedlungen und –gründungen anzuregen. SWZ der zweiten Form setzen auf stärkere Entbürokratisierung und Deregulierung, um mehr Freiräume für unternehmerisches Handeln zu schaffen.

SWZ als starkes Instrument zur Wirtschaftsförderung

SWZ gelten insgesamt als starkes Instrument zur Wirtschaftsförderung und sollen negative Standortfaktoren ausgleichen oder wenigstens mindern. Es wird außerdem argumentiert, dass SWZ durch Rückkoppelungseffekte indirekt Innovation, Technologie- und Wissenstransfer für die gesamte Volkswirtschaft antreiben. Des Weiteren werden sie gerne als Reform-Testzentren bezeichnet: D.h. sofern sich hier administrative oder steuerliche Anreize als erfolgreich erweisen, könnten diese auf das ganze Land angewendet werden. Es gibt aber auch Kritik an SWZ (s. Grafik). Beispielsweise könnten ein Deregulierungswettbewerb nach unten entstehen und sich neue regionale Ungleichgewichte ergeben, wenn bestehende Unternehmen ihren bisherigen inländischen Standort zugunsten der SWZ aufgeben.

Exkurs: Sonderwirtschaftszonen innerhalb der EU

Auch innerhalb der EU gibt es SWZ; derzeit insgesamt ca. 100. Hierbei handelt es sich größtenteils um Freihandelszonen (beispielsweise zollfreie Häfen). Umfassendere SWZ wurde allerdings in Polen und jüngst in Italien errichtet.

So erließ 1994 Polen ein Gesetz zur Errichtung von wirtschaftlichen Sonderzonen. Als Ziele wurden verfolgt: Wirtschaftswachstum in besonders benachteiligten Regionen beschleunigen, Industriebrachen und Infrastruktur revitalisieren, neue Beschäftigungsperspektiven schaffen und die Wettbewerbsfähigkeit stärken. Im Vordergrund standen dabei weitreichende Steuererleichterungen, um ausländische Direktinvestitionen anzuziehen. 14 SWZ wurden im ganzen Land geschaffen. Diese haben bis 2017 laut polnischer Investment- und Handelsagentur (PAIH) dazu beigetragen, 350.000 Jobs zu schaffen und Kapital im Wert von ca. 27 Mrd. Euro anzuziehen. Zudem führten sie zu mehr als 2.000 Unternehmensgründungen. Neben dieser Erfolgsbilanz wurde aber auch Kritik laut. So gab es Berichte über Lohndumping und mangelnden Arbeitsschutz. Weiterhin konnten lokale Firmen (insbesondere KMU) durch die Ausgestaltung der SWZ nicht im gleichen Maße von den Steuervorteilen und Investitionsbeihilfen profitieren wie ausländische Unternehmen. 2018 wurde die SWZ-Politik in der bisherigen Form aufgelöst und durch eine neue Förderpolitik ersetzt, die in ganz Polen weitreichende Reformen umsetzte.

Erst jüngst hat auch Italien zwei Sonderwirtschaftszonen aus sechs süditalienischen Gebieten mit einer Laufzeit von 14 Jahren etabliert. So soll die wirtschaftliche Entwicklung dieser besonders strukturschwachen Landesteile als Industrie- und Logistikdrehscheiben gefördert werden. Es gibt unter anderem Steuergutschriften für Investitionen, leichteren Zugang zu Krediten und schnellere bzw. vereinfachte Genehmigungs- und Verwaltungsverfahren.

Gestaltungsvorschläge für Ostdeutschland

Auch in Ostdeutschland wurde die Errichtung einer SWZ in den vergangenen Jahrzehnten diskutiert. Standen 2004 noch umfangreiche Deregulierungsmaßnahmen, vor allem im Arbeitsmarkt, im Vordergrund, sehen neuere Vorschläge insbesondere umfassende fiskalische Anreize und erleichterte Genehmigungs- und Planungsverfahren vor. Zudem fokussieren sich die Ideen zur Gestaltung von SWZ nicht mehr auf ganz Ostdeutschland, sondern auf Regionen mit besonderem Strukturwandel, wie beispielsweise die Lausitz. Ziele sind auch hier die Stärkung von Unternehmertum durch mehr Unternehmensansiedlungen sowie die Anregungen von Investitionen und Innovationen. So veröffentlichte im Mai 2020 das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) ein Kurzgutachten mit zehn Vorschlägen zur Ausgestaltung einer Sonderwirtschaftsregion (SWR) in der Lausitz und anderen Kohlerevieren (s. Grafik). Darüber hinaus wurden auch seitens der Politik grenzüberschreitende SWZ — insbesondere mit Blick auf die Grenzstädte Stettin, Frankfurt (Oder) und Görlitz — angeregt, um das Entwicklungspotential dieser Regionen zu stärken.

Einschätzung

Es braucht mehr unternehmensinterne Investitionen in FuE

Es ist begrüßenswert, dass jüngste Vorschläge einen engeren geographischen Bezugsrahmen wählen (z.B. eine SWR Lausitz), denn so kann gezielter den Herausforderungen auf regionaler Ebene begegnet werden. Zudem sollte Regionalentwicklung gesamtdeutsch gedacht werden, da viele Gebiete Deutschlands mit dem Strukturwandel kämpfen. Weiterhin haben sich steuerliche Anreize zur Ansiedlung von Unternehmen in der Vergangenheit zwar als erfolgreich erwiesen, aber man könnte befürchten, dass diese z.B. Briefkastenfirmen anlocken und somit keine nachhaltige Wertschöpfung in die Region tragen. Auch können, wie bereits angesprochen, niedrigere Steuersätze einer Region zur nachteiligen Entwicklung einer Nachbarregion führen. Die Stärkung von Forschung und Entwicklung (FuE) durch eine SWR ist ein guter Ansatz, jedoch ist die öffentliche Förderung im europäischen Vergleich bereits überdurchschnittlich gut in Ostdeutschland ausgebaut. Es fehlt eher an unternehmensinternen Investitionen in Innovationen (s. Grafik) sowie einer effizienten und effektiveren Verwertung des FuE-Inputs zu marktgängigen Produkt- und Prozessinnovationen. Die Vereinfachungen von bürokratischen Vorgaben, die Nutzung digitaler Lösungen hierzu und der Einbezug der Bevölkerung zur Bewertung bestimmter Vorhaben sind richtig und wichtig, aber diese sollten grundsätzlich auf das ganze Land angewandt werden.

Alles in allem gibt es keine systematische und vollständige Untersuchung zur Wirkung von SWZ, unter anderem durch ihre vielfältige und damit schwer vergleichbare Ausgestaltung. Jedoch kommen verschiedene Studien zu dem Ergebnis, dass ursprüngliche Zielstellungen oftmals nicht erreicht werden und sich gesamtwirtschaftlich kein positiver Effekt ergibt. Zudem wäre es für Ostdeutschland besonders wichtig, Innovation und Wissenstransfer zu unterstützen. Bewertungen hierzu zeigen jedoch, dass SWZ zur Stärkung dieser Effekte nicht das adäquate Mittel zu sein scheinen.

Ergänzende Ideen für Ostdeutschland

Der bestehende Baukasten von Förderinstrumentarien sollte durchaus weiter ausgestaltet werden und mehr Flexibilität erhalten. Die Transformation kann so durch die Politik mittels einzelner Elemente, wie beispielsweise Reallabore und grenzüberschreitende Innovationscluster, verstärkt werden. Gerade für die Zukunftstechnologien in den Bereichen Elektromobilität, Wasserstofftechnologie, Pharma, Medizin, künstlicher Intelligenz und Kryptologie können sie so weitere Wachstumspotentiale für die Region bieten.

Eigenkapitalstärkende Maßnahmen für KMU erforderlich

Zur Innovationsförderung sollten die vorhandenen Bemühungen weiter auf der Stärkung unternehmensinterner FuE liegen. Das vor einem Jahr in Kraft getretene Gesetz zur steuerlichen Forschungsförderung ist ein richtiger Schritt in diese Richtung – gerade für den Mittelstand. Außerdem brauchen vor allem KMU mehr eigenkapitalstärkende Maßnahmen (siehe Positionspapier des Bankenverbandes dazu), um unter anderem eigenständig in Innovationen investieren zu können. Notwendig sind zudem zentrale Anlaufstellen für Unternehmensgründer/innen. Diese bieten einen niedrigschwelligen Zugang zu Verwaltung, Wirtschaftsförderung, Unternehmensnetzwerken und Wissenschaft. Sie können deren Interaktion miteinander stärken und bürokratische Hürden erheblich senken. Vielversprechende Ansätze in diese Richtung gibt es bereits, aber deren Bündelung kann noch weiter ausgebaut und ihre Sichtbarkeit erhöht werden. Nicht zuletzt hemmen insbesondere fehlende Fachkräfte das Wachstum in (Ost-)Deutschland. Daher sind weitere Investitionen in (lebenslange) Bildung und die stärkere Öffnung für ausländische Fachkräfte maßgeblich für das Wirtschaftswachstum. Vor allem sind, neben den fiskalischen Anreizen zur Unternehmensförderung, auch gute Standortbedingungen nötig. Deshalb gilt es, nach wie vor in digitale Infrastruktur zu investieren.

Nichtsdestotrotz sind die ostdeutschen Bundesländer gut für die Zukunft gewappnet. Leuchttürme in Berlin, Leipzig und Jena, um einige zu nennen, verdeutlichen das. Gerade jetzt gilt es, daran anzusetzen und die unternehmerische Innovationsfreude gezielt zu unterstützen. Es ist aber auch wichtig, dass der unternehmenseigene Mut etwas Neues zu wagen steigt. Das Beispiel von Tesla in Grünheide verdeutlicht, dass es auch unter bestehenden Rahmenbedingungen und mit Selbstvertrauen in die eigene Idee möglich ist, Projekte umzusetzen, die eine ganze Region voranbringen.

Der Blick der privaten Banken

  • Das bestehende Förderinstrumentarium zur Stärkung strukturschwacher Regionen sollte ausgebaut werden (z.B. durch Reallabore und Innovationscluster), um die Wachstumspotentiale, besonders in Zukunftstechnologien, zu verstärken.
  • Insbesondere unternehmensinterne Investitionen in Forschung und Entwicklung sollten unterstützt werden. Zugleich bedarf es eigenkapitalstärkender Maßnahmen für den Mittelstand — gerade auch als Folge der Corona-Pandemie —, sodass diese aus eigener Kraft Innovationen vorantreiben können.
  • Neben der staatlichen Unterstützung braucht es mehr unternehmerische Innovationsfreude und den Mut zum Risiko, denn auch unter bestehenden Rahmenbedingungen ist es möglich eigene Projekte umzusetzen.

Veröffentlicht am 14.01.2021