MITTELSTAND / WIRTSCHAFTSSTANDORT

TrendOst: Wirtschaftsstandort Ostdeutschland unter dem Eindruck der Corona-Pandemie

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Die Entwicklung der Corona-Pandemie hat deutlich vor Augen geführt, dass Menschen und Unternehmen immer wieder vor neuen und oftmals ungeahnten Herausforderungen gestellt werden. Insofern gilt es, auch im dreißigsten Jubiläumsjahr der Deutschen Einheit den Blick nach vorn zu richten. Auf welche Rahmenbedingungen baut Wirtschaften in den ostdeutschen Regionen auf? Welche Auswirkungen hat die Pandemie für die hiesigen Unternehmen? Ist ein stärkeres Exportgeschäft und/oder mehr Nachhaltigkeit gefragt?

Um hier zu Trendaussagen zu kommen, hat auch in diesem Jahr der Ostdeutsche Bankenverband gemeinsam mit dem Magazin „Wirtschaft+Markt“ eine Umfrage unter Führungskräften und ExpertInnen aus Unternehmen, Verbänden und Kammern sowie Politik durchgeführt. Geantwortet haben 225 Personen, zu 98% kamen die TeilnehmerInnen aus den Regionen Ostdeutschlands.

NOTE FÜR STANDORT BLEIBT BEI „VOLLBEFRIEDIGEND“

Für Unternehmen und Selbstständige sollten die Standortbedingungen möglichst optimal ausfallen, um sie in ihrem Wachstum zu unterstützten. Nach einer Gesamtbewertung gefragt, sehen die Antwortenden hier das Glas „halb voll“: Wie schon 2019 erhält der Wirtschaftsstandort als Note ein „vollbefriedigend“. Dabei vergab auch diesmal wieder fast die Hälfte eine Drei und immerhin ein Drittel bewerteten erneut mit einer Zwei. Zugelegt haben die Bewertungen, die der Großregion ein „sehr gut“ ausstellen — statt einem Prozent, sind es diesmal drei Prozent der Antworten. Verbesserungen sind also zu sehen, wenngleich der Osten noch stärker werden kann. Der entsprechende Auftrag für die Landes- und die Bundespolitik bleibt also aktuell.

Unterstützung in der Pandemie eher Top — Verfügbarkeit Fachkräfte und Breitband eher Flop

Das Zeugnis für die einzelnen Rahmenbedingungen bleibt durchwachsen und kommt ohne Überraschungen aus. Eher zufrieden ist die Mehrheit mit der Wirtschaftsförderung und dem Flächenangebot (jeweils knapp unter 2,5). Auch die Verkehrsinfrastruktur und der Zugang zu den Absatzmärkten schneiden ganz gut ab. Die Verfügbarkeit von Fachkräften und Breitband bleiben dagegen die am schlechtesten bewerteten Einzelfaktoren (3,5 bzw. 3,8). Sehr differenziert fällt, ähnlich wie im Vorjahr, die Bewertung der politischen Unterstützung sowie diejenige der Verwaltung aus. Positiven Einschätzungen stehen gleichsam ähnlich viele negative gegenüber. Weitgehende Zustimmung erhalten die Maßnahmen und die Unterstützung der Politik in Bezug auf die Corona-Situation — hier gibt es mit 2,6 die Bestnote der Einzelwerte.

CORONA-BEDINGUNGEN FORDERN DEN WIRTSCHAFTSTANDORT

2020 steht weltweit ganz im Zeichen der Corona-Pandemie. Schnell und umfassend hat diese alle Menschen und am Wirtschaftsleben Beteiligten vor ungeahnte Herausforderungen gestellt. Nach ersten massiven Schutzmaßnahmen entspannte sich die Situation aufgrund der nachfolgenden Lockerungen — dieser Umstand dürfte zum Zeitpunkt der Umfrage auch noch das prägende Gefühl gewesen sein. Indes erscheint aktuell, aufgrund steigender Infektionszahlen, das Gesamtumfeld wieder unsicherer zu werden.

Von den Antwortenden werden die Auswirkungen auf die Wirtschaft — wenig überraschend — ganz überwiegend als negativ beschrieben. Besonders deutlich gilt dies für die Liquiditätssituation, wo Einschränkungen der Geschäftstätigkeit entsprechende Spuren hinterlassen haben. Inzwischen dürfte sich dies aber zumindest teilweise wieder entspannt haben. Zugleich gehören Nachfrageeinbrüche, Produktionsdrosselung und Investitionszurückhaltung zu den Folgen der Pandemie bzw. der hierauf abstellenden Schutzmaßnahmen. Vorsorgliche Werksschließungen, stockende Logistikleistungen und fehlende Reisemöglichkeiten haben auch die Lieferketten beeinträchtigt. Einzig beim Personal erscheinen die Auswirkungen (noch) eher neutral, wohl auch dank des Einsatzes des Kurzarbeitergeldes.

Finanzielle Unterstützung für Unternehmen und Selbstständige wichtig

Auf die außergewöhnliche Situation haben Politik und Verwaltung richtigerweise schnell und umfassend reagiert. Eine Reihe von Instrumenten – zunächst vor allem mit dem Fokus, Liquidität zu sichern — wurde ins Leben gerufen oder angepasst. Deren Stellenwert für die Wirtschaft nehmen die Umfrage-TeilnehmerInnen aber durchaus unterschiedlich wahr. Besondere Bedeutung misst man dem Kurzarbeitergeld zu. Neun von zehn Antwortenden halten dieses für relevant oder sehr relevant. Dazu dürfte beitragen, dass das Instrument einerseits die Arbeitgeber entlastet und andererseits die Beschäftigungssituation stabilisiert. Auch die im Frühjahr ausgezahlte Corona-Soforthilfe, die noch laufende Überbrückungshilfe (beide vom Bund) sowie länderspezifische Zuschüsse waren bzw. sind als direkt fließende Zahlungen wichtig. Als relevant, aber im Rang nachgeordnet, werden Kreditprogramme eingeschätzt. Dies kann nicht verwundern, da die Rückzahlung auch einer Geschäftsperspektive und entsprechender Umsätze bedarf. Hier ist also eine gewisse Zurückhaltung zu unterstellen. Beteiligungen wird — zumindest aktuell — keine besonders hohe Relevanz zugemessen. Zusätzliches Eigenkapital ist wohl weiterhin nur für einen Ausschnitt der Wirtschaft zugänglich und dürfte erst im Zuge einer verbesserten Konjunktur wichtiger werden. Individuell wurden als weitere zentrale Maßnahmen u.a. die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, Hilfen für die Kulturbranche sowie eine generell gestiegene Flexibilität in den Behörden benannt.

Mittelfristig Normalisierung erwartet

Nach den massiven Einbrüchen erholt sich zur Zeit Deutschlands Wirtschaft überraschend zügig, auch wenn ganze Branchen weiter mit deutlichen Einschränkungen zu kämpfen haben. Insgesamt sehen die Prognosen für 2021 ein Wirtschaftswachstum im mittleren einstelligen Bereich. Auch ein größerer Teil der Umfrage-TeilnehmerInnen rechnet wieder mit weitgehend normalen Wirtschaftsaktivitäten im nächsten Jahr. Dies stützt sich sicherlich auch auf die berechtigte Hoffnung, dass zeitnah ein Impfstoff verfügbar sein wird. Knapp ein Drittel geht allerdings von einer längeren Rezession aus. Angesichts aktuell steigender Infektionszahlen und möglichen neuen Einschränkungen leider ein nicht völlig ausgeschlossenes Szenario.

INTERNATIONALISIERUNG BLEIBT FÜR UNTERNEHMEN WICHTIG

Ostdeutschlands Unternehmen verfügen über eine Vielzahl von exportfähigen Produkten und Dienstleistungen. Dass diese auch weltweit ihre Abnehmer finden, beweist etwa die stetig gestiegene Exportquote der hiesigen Industrie (zuletzt 37%). Dennoch liegt dieser Wert noch unter demjenigen in anderen deutschen Regionen. Dies hat zwar primär strukturelle Ursachen, wie z.B. die kleinteiligen Unternehmensstrukturen. Aber insgesamt könnte die ostdeutsche Wirtschaft in der Exportorientierung stärker werden. Entsprechend bewerteten auch die Antwortenden, dass sie mit der Außenhandelsperformance nur teils/teils (50%) zufrieden sind. Chancen auf Auslandsmärkten zu nutzen, bleibt also weiterhin ein Auftrag an die mittelständische Unternehmerschaft und sollte entsprechend unterstützt werden.

Drängende Herausforderung: Krisenfestigkeit von Wertschöpfungsketten stärken

Mit Corona sind weltweit enorme Belastungen für die Volkswirtschaften verbunden. Naturgemäß schlagen diese auch auf das Exportgeschehen der hiesigen Unternehmen durch — Stichworte: Lieferengpässe, stagnierende Nachfrage. Schonungslos offengelegt wurde damit auch die — derzeit — hohe Anfälligkeit der internationalisierten Wertschöpfungsketten. Um deren Robustheit zu erhöhen, müssen die Firmen u.a. aktiv ihre Außenwirtschaftsstrategien anpassen bzw. tun dies bereits. Geht es nach den Antwortenden, steht dabei an erster Stelle eine stärkere Diversifizierung der Lieferketten, um Risiken aus eventuellen Ausfällen möglichst klein zu halten. Auch wird eine stärkere regionale Vernetzung erwartet. Hier dürfte durch die Nähe potenzieller Lieferanten oder Kooperationspartner eine schnellere Reaktionsfähigkeit impliziert werden. Einhergehend erscheint die Rückverlagerung von Kernkompetenzen an die deutschen Firmenstandorte möglich — eventuell verbindet sich hiermit auch eine Chance für ostdeutsche Regionen. Eher problematisch: Acht von zehn Antwortenden gehen davon aus, dass der Trend einer steigenden Internationalisierung gestoppt wurde. Wie sich dies auf die Wachstumsaussichten der heimischen Wirtschaft auswirkt, wird sich zeigen müssen.

Informationsdefizite und überbordende Bürokratie erschweren den Gang ins Ausland

Dem Mittelstand fehlt es wohl noch oftmals an Informationen über die Zielmärkte. Für fast ein Drittel der Antwortenden war dies der wichtigste Grund, der mehr Auslandsaktivitäten verhindert. Auch mehr unternehmenseigene Expertise ist gefragt: 17% wählten diese auf Platz 1, immerhin ein Viertel vergaben hier Platz 3. Relativ weit vorn rangieren zudem die bürokratischen Anforderungen; zwei Drittel der TeilnehmerInnen entschieden sich hier für Platz 1, 2 oder 3. Einzelne Simmen benannten Sprachbarrieren, mangelnde Rechtssicherheit sowie fehlende Vorbilder und Geschäftsvisionen als Problemfelder

Wirtschaft kann unterstützt werden — Wirkungsgrad der Instrumente aber differenziert

Gerade kleinere Unternehmen können bei ihrer Außenwirtschaftsstrategie durch Hilfen wirksam unterstützt werden. Eine auskömmliche Finanzierung steht dabei ganz oben auf der Prioritätenliste. Banken sind damit in ihrer Rolle als Partner des Mittelstandes auch im Ausland gefragt. Konkrete Anknüpfungspunkte wie Förderungen, Qualifizierungsmaßnahmen und Informationen sind ebenso von Relevanz und dürften den Unternehmensalltag erleichtern. Hilfen seitens der Politik inkl. der oftmals angebotenen Delegationsreisen werden differenzierter gesehen — sicher Ausdruck auch unterschiedlicher Anforderungen und eines jeweils anders gearteten Umfelds in den Zielmärkten. Individuell wurden u.a. Netzwerke, ein Matching zwischen „Neulingen“ und „alten Hasen“ im Export sowie ausländische Fachkräfte als relevant eingeschätzt.

Europa bleibt DER Markt für den Osten

Geht es nach den Umfrage-TeilnehmerInnen, bleiben die EU-Staaten auch künftig wichtige Handelspartner für die hiesigen Firmen. Oberste Priorität genießt der engere Euroraum; bedeutsam bleiben/werden auch die Visegrád-Staaten (Polen, Slowakei, Tschechien, Ungarn). Auch hält die Hälfte China und Russland für weiterhin wichtig, während die USA nur noch für ein knappes Viertel eine hohe Relevanz hat. Einzelstimmen hoben etwa die baltischen Länder und den Iran hervor. Auf die Branchen geblickt, stehen vor einem weiteren Internationalisierungsschub primär Chemie/Pharmazie, Biotech sowie Informationstechnik/Telekommunikation. Gerade für letztere sieht ein größerer Teil der Antwortenden aber auch geringere Exportaktivitäten voraus. Relativ eindeutig ist der Befund für die – bereits stark exportorientierte – Automobilindustrie sowie die Maritime Wirtschaft: Diese werden auf dem Rückzug gesehen; wohl auch Ausdruck des hier erhöhten Transformationsdrucks.

BESTIMMEN DIE AGENDA: NACHHALTIGKEIT UND KLIMASCHUTZ

Nachhaltigkeit hat in den letzten Jahren zunehmend die gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Diskussionen geprägt. Gut die Hälfte der Befragten bescheinigt dem Thema, insbesondere mit Blick auf Klimaschutz, aktuell eine hohe Relevanz für den Wirtschaftsstandort. Für den Zeitpunkt in zehn Jahren ist dies für fast 90% der Fall. Interessant der Vorjahresvergleich: Damals sahen sechs von zehn TeilnehmerInnen eine hohe Relevanz für das „Heute“, dagegen erwarteten „nur“ 80% dies für 2030. Corona könnte also die Aufmerksamkeit für Nachhaltigkeit etwas in den Hintergrund gedrängt haben. Zugleich ist aber die Einsicht gewachsen, dass das Thema langfristig für die Unternehmen bzw. den Standort an Bedeutung gewinnt.

Gesellschaftliche Anforderungen sind wichtige Auslöser für Unternehmensaktivitäten

Mehr Klima- und Umweltschutz aber auch die stärkere Berücksichtigung sozialer Belange ist gesellschaftlich sowie politisch gewollt und werden in den Unternehmen immer stärker in Prozesse sowie Geschäftsstrategie implementiert. In der Einschätzung der Antwortenden sind vor allem die Anforderungen der Kunden und der Gesellschaft die stärksten Treiber dieser Entwicklung. Als fast ebenso relevant wird das Motiv der Ressourceneinsparung sowie die Erfüllung von gesetzlichen Vorgaben beschrieben. Zunehmend fragen auch Banken und Finanzierungspartner bei Unternehmen nach entsprechenden Anstrengungen nach, werden in dieser Rolle aber längst noch nicht von allen wahrgenommen.

CO2-Preis und Fördermaßnahmen beeinflussen Unternehmensentscheidungen am meisten

Maßnahmen des Klima-/Umweltschutzes werden in einer Vielzahl von Unternehmen umgesetzt. Von politischer Seite können diese wohl stark durch einen CO2-Preis, aber auch über eine Investitionsförderung oder durch die gezielte Setzung von Anreizen gesteuert werden. Nur die Hälfte der Antwortenden sieht in Zielvorgaben ein Mittel, mehr für die Umwelt zu erreichen. Reine Informationen und Dialogangebote sind zwar oftmals gewünscht (siehe Umfrage aus dem Vorjahr), beeinflussen aber die Entscheidungen nicht übermäßig. In der Gesamtschau ist somit nicht überraschend, dass vor allem konkrete Unterstützungsmaßnahmen den Umbau der Wirtschaft hin zu mehr „grüner“ Nachhaltigkeit beschleunigen dürften.

Corona/Nachhaltigkeit: Kein Widerspruch

In der Krise soll oftmals eine Chance liegen. Insofern scheint Corona zumindest einen positiven Aspekt mit sich zu bringen: Sechs von zehn Antwortenden meinen, dass hierdurch das Thema Nachhaltigkeit an Bedeutung gewinnt. Dabei hat die Transformation der Wirtschaft bereits begonnen, bedarf aber auch einer wirksamen Begleitung seitens der Politik. Hinsichtlich der im Zuge der Pandemie diskutierten Konjunktur- und Unterstützungsmaßnahmen besteht eine hohe Präferenz, den Unternehmen zunächst wieder auf die Beine zu helfen (zwei Drittel). Laut den Antwortenden sollten die Mittel aber durchaus auch die Bereiche Klima-/Umweltschutz sowie soziale Belange in den Unternehmen unterstützen.

Fazit des TrendOst

  • Die Pandemie fordert Bürger und Unternehmen weltweit — auch in Ostdeutschland. Dabei ist die Ausgangslage hierzulande eher gut: Zumindest was die Unterstützung in Zeiten der Pandemie betrifft gibt es positive Zustimmungswerte. Und der Ausblick bleibt verhalten optimistisch: Der Großteil der Antwortenden rechnet damit, dass sich im Verlauf des nächsten Jahres die wirtschaftliche Situation weitgehend normalisiert.
  • Insgesamt ist der Wirtschaftsstandort attraktiv, kann in den einzelnen Ausprägungen aber noch besser werden. Damit bleibt der politische Gestaltungsauftrag zur Verbesserung der Rahmenbedingungen bestehen.
  • Für die Wirtschaft gilt wiederum: Vor allem die Frage nach dem Platz innerhalb der internationalen Wertschöpfung und die Transformation hin zu nachhaltigen Geschäftsmodellen wird die Unternehmen in den nächsten Jahren intensiv beschäftigen. Hier gilt es nicht nur Risiken, sondern auch Chancen im Blick zu behalten. Transformationsanstrengungen sollten durch politische Instrumente/Unterstützung flankiert werden.

Veröffentlichung: 1. Oktober 2020

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