Dr. Christine Bortenlänger
VERBRAUCHER / VERMÖGENSENTWICKLUNG

Warum Aktien im Rentensystem stärker berücksichtigt werden müssen

Wie steht es um die Aktienkultur in Deutschland?

Die Aktienkultur in Deutschland ist leider eher schwach ausgeprägt. Insgesamt legt nur ungefähr jeder sechste Deutsche über 14 Jahren Geld in Aktien an. Das ist eindeutig zu wenig. Angesichts sinkender Renten sollten die Menschen zukünftig mehr Geld zurück- und dieses vor allem ertragreicher anlegen. Eine breit gestreute, langfristige Aktienanlage in den Deutschen Aktienindex DAX beispielsweise hat in der Vergangenheit Erträge von durchschnittlich sechs bis neun Prozent jährlich erwirtschaftet. Für den erfolgreichen Vermögensaufbau und die Altersvorsorge führt deshalb kein Weg an der Aktie vorbei.

Sind Aktienbesitzer nur in bestimmten Bevölkerungsgruppen vorzufinden?

Es gibt rund zehn Millionen Aktionäre in Deutschland. Der „typische“ Aktionär ist männlich, über 60 Jahre alt und hat ein Haushaltseinkommen von über 4.000 Euro. Grundsätzlich sind natürlich in allen Bevölkerungsgruppen Aktienbesitzer zu finden. Statistisch ist es so, dass jeder fünfte Mann Aktien oder Aktienfonds besitzt, bei den Frauen ist es dagegen nur jede achte. Mit zunehmendem Alter steigt die Aktienquote der Deutschen, und die Altersgruppe der über 60-Jährigen stellt mit fast vier Millionen Menschen ein Drittel aller Aktienbesitzer. In der Altersgruppe zwischen 14 und 39 Jahren ist dagegen nur jeder zehnte an der Börse investiert. Das überrascht nicht, wächst doch das frei verfügbare Einkommen in der Regel mit zunehmender Berufserfahrung und Alter.

Wieso verzichten so viele Menschen auf die Aktienanlage? Wie werden Menschen zu Aktionären?

Vorurteile, Missverständnisse, aber auch häufig ein diffuses schlechtes Bauchgefühl kennzeichnen den Umgang der meisten Deutschen mit Aktien. Viele glauben zum Beispiel, man müsse Finanzprofi sein, um Geld in Aktien anlegen zu können. Andere sind davon überzeugt, dass man dafür reich sein müsse. Beides stimmt nicht, denn man kann ohne umfassende Finanzkenntnisse bereits mit kleinen Geldbeträgen in Aktienfonds-Sparpläne anlegen.

Menschen werden am ehesten zu Aktionären, wenn sie die Gelegenheit haben, positive Erfahrungen mit der Aktienanlage zu machen. Zum Beispiel als Mitarbeiteraktionäre. Auf diesem Weg lernen sie, die Chancen und Risiken von Aktien richtig einzuschätzen. Aber auch Altersvorsorgesysteme, die Aktien stärker einbeziehen helfen. Länder, wie beispielsweise Schweden und die Niederlande, die Aktien in der Altersvorsorge nutzen, haben deshalb deutlich höhere Aktionärsquoten als bei uns.

Sehen Sie signifikante Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland?

Ja, es gibt durchaus regionale Unterschiede in Deutschland. So besaßen im Jahr 2018 in Westdeutschland rund 17 Prozent der Bürger Aktien, während in Ostdeutschland die Aktienquote bei zwölf Prozent lag. Aber auch ein Nord-Süd-Gefälle lässt sich in Deutschland feststellen. Während im Norden (Niedersachen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern) die Aktionärsquote bei rund 15 Prozent lag, kam der Süden (Bayern und Baden-Württemberg) auf gut 21 Prozent. Insgesamt lassen sich die bestehenden Gefälle nicht nur auf die Einkommensunterschiede zwischen Ost und West bzw. Nord und Süd zurückführen. Auch weniger börsennotierte Unternehmen im Norden und im Osten bedeuten weniger Mitarbeiteraktionäre.

Welche Rolle können Aktien im System der Altersvorsorge spielen?

Lassen Sie mich mit einem Beispiel anfangen: Wer für seine Altersvorsorge seit 1977 25 Euro monatlich im Deutschen Aktienindex DAX angelegt hat, konnte sich 2019 über ein Vermögen von rund 103.000 Euro freuen. Die investierten 12.600 Euro erwirtschafteten nach 42 Jahren einen Ertrag von rund 90.000 Euro. Aktien sind also für die Altersvorsorge prädestiniert.

Das haben die Schweden erkannt und nutzen seit 1998 Aktien in der gesetzlichen Altersvorsorge. 2,5 Prozent des Bruttoeinkommens der Arbeitnehmer wandert in Fonds, die in Aktien und/oder festverzinsliche Wertpapiere investieren. Kann oder will man sich für keinen der rund 800 angebotenen Fonds entscheiden, werden die Beiträge automatisch in dem Standardfonds AP7 Såfa angelegt. Dieser setzt zu 92 Prozent auf Aktien. Von 2002 bis 2017 erzielte er im Durchschnitt jährlich eine Rendite von neun Prozent. Der Erfolg des Modells spricht für sich. Alternativ ließen sich Aktien aber auch erfolgreich in die betriebliche oder private Altersvorsorge integrieren, wie wir in einer Ländervergleichsstudie zur Altersvorsorge gezeigt haben.

Wie werten Sie den jüngsten Vorschlag zu einer Finanztransaktionssteuer?

Die geplante Finanztransaktionssteuer belastet einseitig den Aktienkauf und macht die Aktienanlage unattraktiver. Dies ist in Zeiten, in denen die Menschen dringend mit Aktien für das Alter vorsorgen müssen, ein falsches Signal. Stattdessen sollte der Gesetzgeber die Finanztransaktionssteuer endlich fallen lassen und Aktien als festen Baustein in die Altersvorsorge integrieren. Dies würde die Aktienkultur in Deutschland auf einen Schlag deutlich verbessern.

Dr. Christine Bortenlänger leitet als Geschäftsführender Vorstand das Deutsche Aktieninstitut e.V.

Veröffentlichung: 21. Januar 2020