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OstBV-Forum diskutiert: Weichen stellen für einen erfolgreichen Osten 2050

Wäre der Standort Deutschland ein Mensch, dann bräuchte er dringend einen Arzt. Diagnose: Es geht der heimischen Wirtschaft nicht gut. Kein vorübergehender Infekt, vielmehr ein strukturelles Leiden.

Die Industrieproduktion hat noch immer nicht auf das Vor-Corona-Niveau zurückgefunden. Der Anteil des Verarbeitenden Gewerbes am Bruttoinlandsprodukt sinkt seit Jahren. Das Wort „Deindustrialisierung“ macht die Runde. Die enorme Wertschöpfung des Sektors, Treiber nicht zuletzt von Beschäftigung und Steueraufkommen und damit Wohlstandsmotor für die gesamte Gesellschaft, verliert an Dynamik. Die deutsche Automobilindustrie geht durch eine schwere Krise (und damit auch die Werke in Ostdeutschland). Täglich ist von Produktionsverlagerung und Arbeitsplatzabbau zu lesen. Die Zahl der Insolvenzen steigt, die Baukonjunktur lahmt, Handel und Dienstleistungen verzeichnen reale Geschäftsrückgänge.

Vor diesem nicht sehr rosigen Hintergrund hat der Ostdeutsche Bankenverband (OstBV) bewusst ein Zukunftszeichen gesetzt: mit dem OstBV-Forum „Erfolgreich in Ostdeutschland 2050: Jetzt Weichen stellen! Prioritäten nach den Wahlen“. Nach Berlin eingeladen zum Gedankenaustausch waren hochrangige Vertreter/innen aus Wirtschaft, Politik und Bankenwelt: Carsten Schneider, Staatsminister im Bundeskanzleramt und Ostbeauftragter der Bundesregierung; Dr. Stefan Traeger, Vorstandsvorsitzender Jenoptik AG; Martina Priemer, Geschäftsführerin Good Time Holding Gruppe, Sabrina Kensy, frischgewählte OstBV-Vorstandsvorsitzende.

Auf die Diskussion eingestimmt hat zunächst Constanze Buchheim, Geschäftsführerin von i-potentials, mit ihrem Aufruf, Veränderungen aktiv anzunehmen. Ein Blick in die Geschichte zeige, in den letzten 500 Jahren seien weltweit Imperien aufgestiegen, aber auch wieder gefallen. Davon kann man lernen: Erfolg definiert sich auch über Veränderungswille und Verantwortungsübernahme. Auch Unternehmer/innen sollten dies berücksichtigen.

„Eine große Stärke des Standorts Ostdeutschland ist der breite und spezialisierte Mittelstand.“ Mit diesen Worten machte Sabrina Kensy, Bereichsvorständin Mittelstandsbank Mitte/Ost der Commerzbank AG, den Unternehmer/innen Mut. Als Herausforderung für den Wirtschaftsstandort benannte sie Digitalisierung, Dekarbonisierung und Demografie. Ostdeutschland habe das Potenzial, sich an vielen Stellen zu einer Vorreiterregion zu entwickeln. Voraussetzungen dafür seien Verlässlichkeit in politischen Entscheidungsprozessen und gute Rahmenbedingungen. Nur dann werde der Investitionsknoten gelöst.

Ein wichtiger Player bei den richtigen Weichenstellungen ist nach Ansicht der Expert/innen die Europäische Union. Allerdings habe die EU selbst einen nicht zu unterschätzenden Reformbedarf. Die Lücke zu den Bürger/innen müsse schrumpfen, so Carsten Schneider in Richtung der Brüsseler EU-Bürokratie. Der Ostbeauftragte der Bundesregierung beklagte die fehlende inhaltliche Erneuerung auf Ebene der Europäischen Union, auch Diskontinuität genannt. Dieser Mangel führe dazu, dass das Arbeitsprogramm für die EU-Institutionen Parlament und Rat teilweise völlig aus der Zeit gefallen sei. Manche Gesetzesinitiativen kursierten bereits mehr als ein Jahrzehnt in Brüssel. Die Folge laut Schneider: Die EU erscheine mit manchen Projekten völlig an aktuellen Notwendigkeiten vorbei zu handeln.

Zu Beginn der Diskussionsrunde wurden die Gäste via Mentimeter befragt. Hier sind die Antworten zu sehen.

Die Unternehmenslenker/innen in der Diskussionsrunde, Martina Priemer und Dr. Stefan Traeger, waren sich einig, dass ein Hebel für Standortattraktivität der Bürokratieabbau ist. Angesichts immer neuer Gesetze und Verordnungen stehe sie inzwischen vor der unangenehmen Wahl, „kümmere ich mich darum oder kümmere ich mich um mein Geschäft“, so Priemer. Traeger, der auch deutlich machte, welche Rolle die EU für das erreichte Wohlstandsniveau habe, ergänzte jedoch, Brüssel dürfe nicht denken, man schreibe etwas vor und dann ändere sich schon der gesellschaftliche Konsens. Vielmehr gelte es, die richtigen Anreize zu setzen, und zwar auf der Ebene, die nah an den Menschen und Unternehmen ist. Traegers Idee: Ostdeutschland könne auf der Basis des Subsidiaritätsprinzips Vorbild werden, wie Bürokratieabbau gelingt.

Das OstBV-Forum war ein geeigneter Impulsgeber, um auf längere Sicht ein erfolgreiches Ostdeutschland zu schaffen. Harald Eisenach von der Deutschen Bank, scheidender OstBV-Vorstandsvorsitzender formulierte gleich zu Beginn: „Die Geschäftsmodelle von heute sind sicher nicht die von morgen. Megatrends – Stichworte: digitale Disruption, geopolitische Neuausrichtung, Energiewende, Demografie – verändern das Umfeld, in dem die Unternehmen agieren, für uns alle spürbar.“ Die Herausforderungen bleiben groß, wir suchen weiter nach Lösungen.

In eigener Sache

In unsererer TrendOst-Umfrage wollen wir auch dieses Jahr wieder Mitglieder, Unternehmen, Kammern und Verbände zu ihren Einschätzung zum Wirtschaftsstandort befragen. Mit Ihren Antworten geben Sie  uns wichtige Impulse für den Dialog mit den (neuen) politischen Entscheidern/innen über Ostdeutschland.

Wir freuen uns über Ihren Input.

Veröffentlicht: 4. Dezember 2024

Fotos: Jens Schicke für den OstBV

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