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#FokusLand Brasilien: Wirtschaft und Außenhandel

Riesenland mit Riesenpotenzial

„Ordem e Progresso“ – Ordnung und Fortschritt. So lauten die beiden Worte auf der Staatsflagge Brasiliens. Es ist das größte Land Lateinamerikas: Flächenmäßig passt Ostdeutschland fast 80 mal hinein, bei der Bevölkerungszahl muss man für diesen Vergleich Faktor 14 ansetzen. Die Größe steht allerdings umgekehrt proportional zur wirtschaftlichen Situation. Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen eines Brasilianers beträgt rund 7.500 Euro; hierzulande (Durchschnitt Gesamtdeutschland) sind es knapp über 50.000 Euro.

Deutschland ist ein bedeutender Handelspartner für Brasilien. Allerdings lässt sich die wirtschaftliche Verflechtung mit dem Bild der „Einbahnstraße“ recht gut beschreiben. Mit über 5 Prozent liegt Deutschland auf Platz 3 der Import-Partner, gleichauf mit Nachbar Argentinien. Umgekehrt rangierte Brasilien 2021 auf Platz 31 der Herkunftsländer deutscher Einfuhren.

Dabei hat der südamerikanische Riese enormes Handelspotenzial. In der Gruppe der BRIC-Staaten, neben Russland, Indien und China, bildet Brasilien das Rohstoffschwergewicht: Das Land zwischen Amazonas im Norden und dem Rio Uruguay im Sünden verfügt über Eisenerz, Bauxit und Niob, über Nickel, Zinn, Tantal, Vanadium, Kupfer sowie weitere spezielle Metalle und Industriemineralien, welche gerade für Zukunftstechnologien unabdingbar sind. Auch bei fossilen Energieträgern wie Erdöl und Erdgas gibt es reiche Lagerstätten, vor allem im Tiefseebereich, was allerdings die Ausbeutung erschwert. Nichtsdestoweniger liegt Brasilien bei Öl und Gas in den Top-Ten der weltweiten Produzenten.

Gleiches gilt für die Landwirtschaft. Der Sektor zeichnet für über die Hälfte der brasilianischen Exporte verantwortlich. Bei zahlreichen Produkten, darunter Soja, Zuckerrohr, Mais, Kaffee und Rindfleisch ist Brasilien regelmäßig unter den weltweiten Exportspitzenreitern. Diese Facette trägt allerdings zu Verstimmungen im brasilianisch-europäischen Verhältnis bei. Brasilien würde gern mehr landwirtschaftliche Produkte nach Europa exportieren, scheitert aber regelmäßig an den EU-Marktregeln.

Daneben verfügt Brasilien über einen Schatz, der immer wertvoller wird: Süßwasser. Auf 1,2 Mio. km² erstreckt sich im Herzen Südamerikas der Süßwasserspeicher Aquífero Guaraní. 70 Prozent davon entfallen auf das Hoheitsgebiet Brasiliens. Zahlreiche internationale Unternehmen arbeiten an der kommerziellen Nutzung des blauen Goldes.

Brasilien hat historisch bedingt starke Bindungen nach Europa, nicht zuletzt durch die Migrationsströme der vergangenen zwei Jahrhunderte. Im Süden des Landes, vor allem im Bundesstaat Santa Catarina, begegnet man an vielen Orten deutschen Straßen- und Firmennamen. In der Stadt Blumenau wird alljährlich ein Oktoberfest gefeiert, das Besucher aus ganz Brasilien anzieht. Stärker als der folkloristische Aspekt wiegt die wirtschaftliche Dynamik der Region. Viele wachstumsstarke brasilianische Mittelständler haben hier im Sünden ihren Sitz und sind in technologieintensiven sowie zukunftsweisenden Bereichen aktiv, nicht zuletzt erneuerbare Energie.

Das wirtschaftliche Herz Brasiliens schlägt allerdings im Bundesstaat Sao Paulo und insbesondere in der gleichnamigen Megacity (über 12 Mio. Einwohner). Mehr als 30 Prozent des brasilianischen BIP werden hier erwirtschaftet, fast 70 Prozent davon sind Dienstleistungen und nahezu 30 Prozent Industrieerzeugnisse. Sao Paulo ist zudem ein internationales Verkehrsdrehkreuz und auch von Europa aus gut zu erreichen. Alle großen Airlines steuern Sao Paulo an. Von Frankfurt sind es rund 12 Stunden Flugzeit. Auch innerhalb des Landes ist das Flugzeug aufgrund der riesigen Entfernungen und des fehlenden Eisenbahnnetzes oft erstes Mittel der Wahl.

War das Verhältnis zwischen EU und Brasilien im allgemeinen und das mit Deutschland im besonderen während der Regierungsjahre von Präsident Jair Bolsonaro seit 2017 eher unterkühlt, erhoffte sich die europäische Seite mit der Rückkehr von Luíz Inácio Lula da Silva 2022 ins Präsidentenamt positive Impulse bei den bilateralen Beziehungen. Allerdings führt Lula in der Außen- und Handelspolitik die bereits während seiner ersten beiden Legislaturperioden 2003 bis 2011 begonnene Orientierung in Richtung China fort. Beim Staatsbesuch von Bundeskanzler Olaf Scholz Anfang 2023 wurde deutlich, dass es keine automatische Wiederannäherung von brasilianischer Seite in Richtung EU geben wird. Klar hingegen machte Lula wenig später bei seinem Besuch in China, was man sich vom Reich der Mitte verspricht: als unabhängige Macht auf geopolitischer Bühne wahrgenommen und respektiert zu werden. Die dazu erforderliche wirtschaftliche Dynamik soll nicht zuletzt aus chinesischen Investitionen stammen. Lula, der mit 240 Wirtschaftsvertretern nach Peking gereist war, und sein Kollege Xi unterzeichneten 15 Abkommen im Wert von rund 10 Mrd. Euro auf so unterschiedlichen Bereichen wie bspw. Sojabohnen, Cybersecurity und Satellitentechnologie. Hinzu kommt ein Clearingabkommen der beiden Zentralbanken, welches HandeIsgeschäfte in den nationalen Währungen Real und Renminbi erlaubt – also ohne US-Dollar. In Zukunft wird China Brasilien als strategischen Anker in Südamerika weiter festigen.

Nach einer wirtschaftlich eher schwachen zweiten Hälfte der 2010er Jahre, hat sich Brasilien in Richtung Wachstumsstabilisierung aufgemacht. Ob Europa dabei eine Rolle spielen und profitieren wird, bleibt abzuwarten. Das riesige Potenzial Brasiliens allerdings ist es Wert, hier alle Anstrengungen zu unternehmen. Dass die Bundesregierung aktuell Impulse beim Abschluss des EU-Freihandelsabkommens mit der Mercosur-Gruppe (neben Brasilien Argentinien, Uruguay, und Paraguay) setzt, wie Staatssekretär Udo Philipp auf der Latein Amerika Konferenz in dieser Woche bekannt gab, geht in die richtige Richtung.

Ansprechpartner: Dr. Alexander Schumann  | alexander.schumann@ostbv.de

Veröffentlicht: 02. Juni 2023

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