Samuel Kermelk, Geschäftsführer HeiterBlick GmbH
MITTELSTAND / BRANCHEN

Wasserstoff statt Oberleitung

Die Leipziger Straßenbahn-Manufaktur HeiterBlick entwickelt Europas erste Straßenbahn mit Brennstoffzellen. Das H2-Projekt, das mit großer Unterstützung der Bundesregierung gestartet ist, könnte die Fortschreibung einer ostdeutschen Erfolgsgeschichte werden.

In direkter Nachbarschaft des angesagten Kunstareals auf der ehemaligen Leipziger Baumwollspinnerei vollzieht sich eine beispiellose Industriegeschichte. Unternehmer Ludwig Koehne hat hier nicht nur den traditionsreichen, ehemaligen DDR-Kranbauer Kirow zum Weltmarktführer für Eisenbahnkrane und andere Spezialtransporter gewandelt. Auch die ehemalige Hauptwerkstatt der Leipziger Verkehrsbetriebe baut heute auf dem Areal unter Koehnes Ägide Straßenbahnen für Großstädte wie Hannover, Dortmund, Bielefeld und Würzburg. Aktuell bewerben sich die Leipziger Bahnwerker auch um einen gemeinsamen Großauftrag für mehr als 180 Niederflur-Stadtbahnen der Städte Leipzig, Görlitz und Zwickau. Die Entscheidung soll in den nächsten Monaten fallen.

Parallel schiebt die mittelständische Manufaktur jetzt ein anderes innovatives Vorzeigeprojekt aufs Gleis: HeiterBlick entwickelt Europas erste Stadtbahn mit Brennstoffzellen. Die Vision: Straßenbahnen mit Wasserstoffantrieb sollen künftig ohne Oberleitungen und ohne CO2-Ausstoß durchs Stadtbild gleiten. „Seit Anfang des Jahres entwickelt ein speziell zusammengestelltes Team unseren Prototypen“, berichtet HeiterBlick-Geschäftsführer Samuel Kermelk. Direkt beteiligt am Projekt sind neben HeiterBlick auch die sächsischen Unternehmen Hörmann Vehicle Engineering in Chemnitz und Flexiva Automation & Robotik im Erzgebirge.

Die moderne Produktions-Straße für Straßenbahnen in Leipzig
H2 Tram - Grafik

Die Grundidee: Auf dem Dach einer 30 Meter langen Standard-Straßenbahn werden Wasserstofftanks, Brennstoffzelle samt Kühlung und Batterien montiert, die das Fahrzeug antreiben. Geplant ist, dass eine Wasserstoff-Füllung für einen ganzen Tag ausreicht und die Tanks in der Nacht wieder befüllt werden. In gut vier Jahren soll der europaweit einzigartige Erstling auf den Schienen im Einsatz sein. Nur in welcher Stadt, ist noch offen.

Unterstützt und gefördert wird das Projekt von der Bundesregierung: Das Bundesverkehrsministerium trägt rund die Hälfte der geschätzten fünf Millionen Euro Entwicklungskosten. Betreut wird es von der bundeseigenen Now-GmbH: Das Nationale Innovationsprogramm für Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie. Bis zu 40 neue Jobs sollen durch das Projekt in Leipzig entstehen, sagt Firmenlenker Kermelk. Aktuell sind es rund 120 Kollegen, die etwa 40 Bahnen im Jahr bauen und rund 40 Millionen Euro Umsatz machen. „Wir stellen fest, dass das Interesse nationaler und internationaler Kunden nach alternativen Antriebstechnologien wie Wasserstoff wächst und wollen mit dem Projekt unsere Marktchancen verbessern“, sagt der HeiterBlick-Geschäftsführer. Auch die Leipziger Verkehrsbetriebe seien am Thema interessiert und hätten die Fördermittel-Bewerbung bei der Bundesregierung unterstützt.

Die Idee des Wasserstoffantriebs hat aus Kermelks Sicht großes Potential. Zwar seien die Bau- und Anschaffungskosten für die Straßenbahnen höher. Doch beschert der neuartige Antrieb kommunalen Verkehrsbetrieben eine neue Alternative für Streckenerschließungen, wenn Oberleitungen aus ökologischen, städtebaulichen oder verkehrstechnischen Gründen nicht möglich oder sinnvoll sind. „Die lokale Infrastruktur kann breiter genutzt und die Erschließung neuer Stadtteile und Stadtrandgebiete vereinfacht werden“, sagt Kermelk, ein ehemaliger Leipziger Porsche-Manager. Zugleich würden bei neuen Abschnitten Zeit, Baukosten, Genehmigungsverfahren sowie die Ausgaben für Wartung und Unterhaltung gespart. „Wir gehen aber davon aus, dass sich die höheren Anschaffungskosten für kommunale Verkehrsbetriebe nach wenigen Jahren amortisieren“, sagt Kermelk. Die Herausforderung bestehe vor allem darin, die nötigen Technologien und Tanks auf einer nur etwa 2,50 Meter schmalen Straßenbahn unterzubringen. „Wir arbeiten außerdem an Lösungen zur Nutzung der Brennstoffzellen-Abwärme für die Klimatisierung und an einer Energierückgewinnung“, ergänzt Volkmar Vogel, Manager von Hörmann Vehicle Engineering. „Damit erhöhen wir die Effizienz.“

Ein Weichen-Verlegegerät verlässt das Werksgelände von Kirow und HeiterBlick
Bahn für Bielefeld verlässt HeiterBlick

Wasserstoff-Straßenbahnen sind international allerdings keine neue Erfindung: In China, Korea und Russland etwa werden sie bereits eingesetzt. Umso größer ist in der europäischen Branche die Sorge, dass asiatische Anbieter auf dem deutschen Markt Fuß fassen könnten. „Wir möchten ein deutsches Produkt anbieten und unterstreichen damit zugleich sächsische Entwicklungskraft“, sagt Kermelk. „Wir legen großen Wert darauf, den Großteil der Wertschöpfung in Sachsen zu behalten.“

Wasserstoff entsteht durch die Aufspaltung von Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff mit Einsatz von elektrischem Strom. Weil der Energiebedarf immens ist, soll zunehmend grüner Strom aus Wind und Sonne genutzt werden. Mitteldeutschland entwickelt sich bei der Entwicklung der Technologien zu einer Hochburg (s. ostbv.de). „Das Thema Wasserstoff nimmt bedeutend an Fahrt auf“, sagt auch Kermelk. „Da wollen wir vorne mit dabei sein.“ Benannt ist der mittelständische Spezialanbieter nach dem Leipziger Stadtteil, in dem die Hauptwerkstatt einst zu finden war. Im Firmenlogo trägt er den Kleiber – ein kleiner, kompakter Vogel, der kopfüber einen Baum hinunterlaufen kann. „Wie der Kleiber“, so Kermelk, „so gehen auch wir ungewöhnliche Wege, um die Wünsche unserer Kunden zu erfüllen.“

 

Interview und redaktionelle Bearbeitung durch: Sven Heitkamp | Freier Journalist | Leipzig
(Bildquellen: HeiterBlick GmbH)

Veröffentlicht: 22. April 2021

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